Immer mal wieder predige ich, dass es ein Unsinn sei, sich krampfhaft einer «Zielgruppensprache» zu befleissigen. Zum Beispiel wenn ein Bankdirektor, der sich in einem Mailing an seine Jugendkonto-Kunden richtet, tönen will wie ein Siebzehnjähriger.
Aber in diesem Fall geht es um etwas Anderes. Um Authentizität nämlich. Die Softwareschmiede schreibt Code, so wie sie immer Code schreibt. Richtet sich damit an Nachwuchs-Codeschreiber. Und testet gleich, ob sich diese in ihrer Sprache zurechtfinden. Zugegeben: Ich bin nicht ganz sicher, ob das Plakat das richtige Medium dafür ist. Denn «plakativ» ist dieser Auftritt nicht unbedingt. Aber auf jeden Fall eigenständig. Bleibt zu hoffen, dass der eine oder andere Nerd davor stehenbleibt (zumindest hängen die Plakate nicht an den grossen Einfallsachsen der täglichen Autolawinen, sondern in Fussgängerbereichen) und sich ein paar Minuten damit beschäftigt. Könnte sich lohnen. Chapeau, jedenfalls. Wir alle wissen: Reime und Alliterationen helfen den Werbekonsumenten, dabei, das, was sie gelesen haben, besser zu memorieren.
Was gibt es also Besseres, als ihnen gleich eine ganze Ladung davon vorzuwerfen? Kombiniert mit konsequenter Assonanz? OK, kann man machen. Beziehungsweise machen an. Man kann den Leuten auch zum tausendsten Mal eine Entdeckempfehlung geben (die ist fast so übel wie der Erlebebefehl). Weil wir wissen: Die haben nichts Gescheiteres zu tun als dauernd zu erleben und zu entdecken. Die reissen sich förmlich darum! Nur: Am Schluss sollte das Ganze einen Sinn ergeben. «Die Harley Davidson Herbstkollektion machen Mann, machen an» schafft das leider nicht. Auch wenn die Dame ebenfalls Harley Davidson trägt, um Mann zu machen. Dafür macht Mann vor Ihr Männchen, dem Blick nach zu urteilen. Und das ist doch immerhin schon etwas. Was mache ich, wenn mir auf Facebook so eine Seite zum Anschauen und Liken vorgeschlagen wird?
Erst mal gar nichts. Und dann einen Screenshot. Und dann überlege ich, was die von mir wollen. Und komme nicht drauf. Geht es um ein Umzugsunternehmen? Um einen Anbieter von emotional intelligentem Lieferwagen-Leasing? Ist das im Hintergrund eine gusseiserne Pleuelstange? Oder ein Schoggijoghurt, das jemand auf den Tisch geleert hat? Egal. Ich bin so oder so kein Unternehmen, das Schoggijoghurt-Pleuelstangen braucht. Oder Transportier-Emotion. Pech gehabt. Tut mir leid. Es bleibt leider bei den 200 «Gefällt mir»-Angaben. Was macht eine Familie aus Elgg, wenn sie schlitteln gehen will? Ganz einfach: Sie lässt sich eine Küche einbauen. Und vertraut darauf, dass dank dem neuen Herd und Geschirrspüler dann schon alle auf dem orangen Plastikding Platz haben.
Aber ist es das, was uns das Plakat sagen will? Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes: Möglichkeit 1: Küche kaputt? Also gehen wir schlitteln. Im Vertrauen darauf, dass ELIBAG das merkt und eine neue einbaut. Möglichkeit 2: Herr Elib von der ELIBAG vertraut darauf, dass seine Küchenbauer ihre Sache schon gut machen und geht, während sie Dampfabzugshauben und Steamer montieren, mit seiner Familie schlitteln. Möglichkeit 3: Diese junge Familie hätte gerne eine neue Küche, kennt aber leider ELIBAG nicht. Und geht stattdessen mit dem Schlitten in den Wald, um für die selbstgehobelten Oberschranktürchen ein paar Eichenstämme zu schlagen. Möglichkeit 4: Der Grafiker hatte keine Idee, aber dafür ein Bild zur Hand – von einer Familie, die schlitteln geht. Und der Texter nahm seine Standard-Headline aus der Schublade, die schon bei den letzten drei Kunden funktioniert hatte (Krankentaggeldversicherungen sind Vertrauenssache, Autokauf ist Vertrauenssache, Verhütung ist Vertrauenssache). Dazu kreierte er den Slogan «NachWunsch, NachMass, Nachhaltig». Das ergibt zwar keinen Sinn, aber das ist bei Slogans auch gar nicht nötig. Jetzt noch für den schnellen Leser die komplette Adresse drauf, die Telefonnummer, die Faxnummer (für die technisch Versierten), die URL, die E-Mail-Adresse und einen QR-Code für alle, die beim Anblick dieses Plakats sofort den unbändigen Wunsch verspüren, ihr Smartphone zu streicheln. Viel Erfolg! Was machen Grossstadtmenschen, die in die Berge zum Schlitteln gehen? Mutti zieht die eleganten roten Highheels an, Vater die roten Halbschuhe. Sie darf den Schlitten tragen, und er hält sie liebevoll fest, damit sie nicht auf die Schnauze fällt.
Beziehungsweise auf den Fuss. Den streckt sie nämlich genau wie ihr Göttergatte zum Halsloch des Pullovers raus, weil es schweinekalt ist. Und trotz Minusgraden verzichtet sie auf Socken, Ohrenwärmer oder – ähm – Stirnband. Macht aber nichts: Wofür hat man denn die anderen beiden Füsse? Richtig, um Wärme zu erzeugen. Mit Hightech-Sohlen Marke Chili-Feet. Eine rattenscharfe Namenskreation übrigens. Ungefähr 10 000 Scoville auf der Capsaicin-Skala. Wobei mich das Thema Chili an den Füssen weniger an Wärme erinnert, sondern vielmehr an die Symptome eines fiesen Fusspilzes. Dabei ist die Aussage dieses Plakats eigentlich ganz einfach: Hast du kalte Zehen, dann stell dir einfach vor, dass ein Fuss auf deinen Hals montiert ist und du dafür bei nächster Gelegenheit unbedingt noch eine passende Bommelmütze kaufen solltest. Dann wird’s dir gleich warm um den Kopf oder ums Herz oder um die Wärmesohlen. |
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